Präteritum aus DunkelDortmund

 

Winsen_Aller_Thören_2008

Bild: Winsen/Aller, Ort Thören 2008

Auch heute morgen mußte ich wieder mit der Straßenbahn fahren.

Erst war es ziemlich leer, dann wurde es nach und nach voller.

An einer Haltestelle steigt dann eine ältere Frau ein. Ich schätze sie um 55, ziemlich ungepflegt, bejackt in der Dienstkleidung von DSW 21.

Ununterbrochen redet sie mit ihrem Kollegen.

Krampfhaft versuche ich wegzuhören, krampfhaft suche ich einen Punkt, auf den ich mich konzentrieren kann, mich geistig festhalten kann um den Inhalt des Gesprächs nicht verarbeiten müssen.

Sie spricht sehr laut.
Eine naive Sprache, mit einer Stimme, die sich anhört, als ob sie ihre Stimmbänder gestern in Jägermeister oder anderes getaucht hätte.

Es gelingt mir nicht.

Ich höre diesen Irrsinn, ob ich will oder nicht.
Meine Hände zittern.
Ich möchte nicht ihre Intimgeschichten hören; nicht virtuell in ihrer Haut stecken.
Ich bin wütend.
So wütend. Wann steigt sie endlich aus ?
Warum gelingt es mir nicht mich zur Ruhe zu zwingen ?
Die meiste Wut richtet sich an mich.

Irgendwann kommt die Frage an ihren Kollegen :
” Weißt du, was ich jetzt möchte ? Einfach hier einschlafen und sterben. “

” Verdammt Warum tust du es dann nicht, du verkommene Schlampe ?
Stirb endlich, damit andere dich nicht ertragen müssen !”

In der Hospitz und in der forensischen Klinik, in denen ich  damals als Schwester gearbeitet habe, wollten die Leute leben.
Sie haben gekämpft um jede Sekunde.
Sie klammerten sich im Todeskampf an meine Hände,
bis mir das Blut darin erstarrte.

Da vorn aber sitzt eine Frau, die nicht leben will.
Vollgefressen und verkommen schmarotzt sie an anderer Steuergelder.
Zur Arbeit eingeteilt, damit der Staat wenigstens so tut, als ob es weniger Arbeitslose gibt.

Ich schau mich nach einem anderen Sitzplatz um.
Die Wahl habe ich zwischen Klein-Jamaica und Klein-Ankara.
Ich sehe,
dort ist noch ein Platz frei.
Leider komm ich nicht dahin, weil ich blond bin.
Ich mag nicht angesprochen werden.

Ich ringe um meine Beherrschung.

An der nächsten Haltestelle steige ich aus. Den Rest, bis zur Bushaltestelle kann ich laufen.

20 Minuten später ist der Bus da.
Weitere 5 Minuten
schiebt sich eine 200 kg-Frau hinein;
unauffällig gekleidet in rosa Shorts, einem gelben fast durchsichtigen Shirt,
mit Flecken an ihren Brüsten,
die sagen, dass das Ei heute morgen wohl weich gegessen wurde.
An ihrer Hand baumelt eine Plastikhandtasche in modischem orange, rosa und lila.
Verziert ist diese mit bunten Gummischmetterlingen, und Perlen.

> Meine Güte, wo – nur wo ist deine Schmerzgrenze ?
Ist dein Spiegel zugeklebt, oder passt du nur nicht davor ? <

In der Hand halte ich mein Frühstücksbrot.

Ich schau es an. Es ist Camenbert drauf, hoch calorisch.
Ich erinner mich an gestern, an mein eigenes Spiegelbild.
Auch ich bin nicht superschlank.
Ich habe einige Kilos zugenommen, bin aber bereits  auf Rücktour.
Versteht mich nicht falsch.
Ich habe nichts gegen dicke Leute, nur sollte man einen gewissen Stil bewahren.
Sauber und ein wenig bedeckt an bestimmten Stellen, das würde reichen.

Ich versuche mein Brot zu hypnotisieren.

Mein Hals schnürt sich zu.
Ich glaube zu ersticken.
Ich kämpfe mit meinem Ich.

> Hier kannst du nicht aussteigen.
Du schaffst diesen weiten Weg nicht bis zur Arbeit.<

Ich pack mein Brot wieder ein.

Ich weiß, ich werde es nicht mehr anfassen.
Später werde ich es vernichten.
Im Klo runterspülen, wie so vieles, was ich mitnehme.
Ich habe Angst, dass ich wieder vergesse zu essen.
Meine Rituale sind durcheinander.

 

Eine Haltestelle weiter steigen Leute dazu.
” Brat mir doch einer mal´nen Storch ” höre ich nur.
Mein Ohr vergrößert sich automatisch.
Es wandert am Sitz runter, um eine Ecke des Sitzplatzes,
nur zu diesen einzigen Zweck –
um zu lauschen.

Storch braten ?
In Dunkeldortmund ?
WOW
Ich staune.

In Winsen gibt es Störche auf den Dächern.
Gebraten werden sie eher nicht.

Man höre weiter :
” Musse auch so früh malochen ”
Ich ziehe mein Ohr wieder ein.
Sprachmörder, diese.

Einige Zeit später steige ich aus.

Ich starte meinen Rechner, geh nach oben in die Kantine.
Dort ist die Raucherterasse.

Ich stehe dort an der Brüstung, schaue in die Tiefe auf die Strasse mit den vielen Autos.

Mein Blick schweift über die entfernten Bäume.
Ich möchte sie berühren. Es sind nur Laubbäume.
So gern würde ich zu meinen Tannen.

unerreichbar

Ich bin festgefroren in dieser Großstadt.
Meine Gedanken vereisen hier.

Eine weitere unmächtige Wut steigt in mir hoch.
Tag für Tag merke ich, dass meine Aggressionen steigen.
Ein kleiner Funke noch, dann werde ich explodieren.

Warum hat man mir nicht erklärt, was hier so los ist ?
Warum hat man mir nicht gesagt, dass ich hier so einsam bin.
Viel einsamer, als in der Natur.
Warum hat man mir nicht gesagt, dass ich nur erwünscht bin,
wenn ich mich anpasse ?
Ich pendel zwischen Arbeit und Baustellenwohnung.

Eine Marionette, die jeden Tag ein wenig mehr verfault.
Ein Püppchen, das gehorchen soll,
sich verleugnen um nicht aufzufallen.
Nie!
Nein, nie wäre ich hier hin gezogen.
Ich gehöre in die Natur.
Ich brauche meine Tiere und Planzen.
Den Geruch der Einsamkeit um mich herum.
Ich möchte wieder meine Hand ausstrecken.
Es fliegen Schmetterlinge und Hummeln darauf,
bereit, sich von mir streicheln zu lassen,
wie schon so oft.

Träne für Träne kullert an mir herunter,
betropfen meine frisch gebügelte Bluse, die niemanden interessiert,
weil auch ungebügeltes angezogen wird.

Ich muß hier weg.
Ich kann hier nicht leben.

Ich kann andere Menschen in dieser Form nicht respektieren.

Ich kann nicht ducken, mich anpassen, diese Verkommenheit tolerieren.
Das wäre eine Lüge an mir, an andere.

Jedes Wort kommt auf die Waage.
Kein Wort gelingt mir zu vergessen.

Ich versuche tief zu atmen.
Ich ringe weiterhin nach Luft.
Ich brauche meine Stille.
Ich mag nicht mehr reden.
Ich rede genug, wenn ich arbeite.
Ich fühle mich fiebrig und krank.

Diese verlogene, verdreckte Scheißbande um mich herum kotzt mich an.
Die Stadt zerstört mich.

Sie zerstört meine Welt der schillernden Seifenblasen.
Sie zerstört meine träumerischen Illusionen um das Gute in jedem Menschen.

Dortmund 2012_© Archimeda 1

BILD: Dortmund, Ort Überall_2012

Archimeda 1

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6 Responses to Präteritum aus DunkelDortmund

  1. Hallo Mäus-chen,
    Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen, Bochum oder Dortmund sind austauschbar.
    Überall nur primitives Volk zu sehen und noch mehr zu hören, weil die Anständigen sich verstecken, denn wer hier anständig ist fällt damit sofort auf und gilt für diesem Pöbel als Opfer. 😥 Deshalb suchen wir uns ja schon lange ein wirkliches Zuhause. :rose:

    *Kuss*
    Dein Bärchen

    • Archi says:

      Hallo BG
      Dortmund steht gleich mit Duisburg und Bochum. Primater Nachwuchs aus irgendwelchen Quellen. Herangezogen, damit die Bürgermeister wieder gewählt werden.
      Essen, Oberhausen hat wenigstens noch Herz.
      In beiden Städten war ich längere Zeit.

      Trotzdem ist DD immer an der Spitze. Die Menschen sind fußballverseucht durch BVB und damit hörte die Denkerei auf.
      Wenn ich schon die Fußball-Modis schreien höre “Toooooor” dreht sich bei mir der Magen um.
      Ich weiß, dass man nicht hassen sollte, aber DD hat mich das hassen gelernt.

      Suchen allein reicht nicht für ein neues Heim … Man muss sich ernsthaft bemühen. Durch meine blöde AZ bist du dafür verantwortlich, ich kann nur Vorschläge machen.
      Hol mich hier raus, bevor ich ganz durch drehe.
      Gib mir meine Natur wieder, damit ich werden kann, wie ich war.

  2. Guten Abend Uli,

    das ist heftig aber für mich verständlich. Du bist eine Landpflanze und gehörst dort nicht hin. Ich kenne Dortmund nicht und habe da bestimmt auch nichts versäumt. In Essen war ich schon und damals fand ich es dort recht annehmlich, da Essen viel Grün hat. Schaut endlich, dass Ihr zu Eurem eigenen Haus kommt in der Natur. Es bringt Euch mehr Lebensqualität und auch Ruhe. Warum sucht Ihr nicht in MeckPomm? Das Wetter hier dürfte Dir entgegen kommen, weil es nie ganz so heiß wird wie in einer Großstadt. Hier gibt es manchmal so günstige Häuser, die man selbst ausbauen kann. Hochwasser gibt es hier auch nicht und Freunde hättest Du ganz in Deiner Nähe. Joachim ist auch nicht so weit weg.

    Schaut zu, dass Ihr da weg kommt!

    Liebe Grüße, Kathy

    • Archi says:

      Hallo Kathy

      Diese Geschichte ist schon ca 3 Jahre her. Nun arbeite ich daheim, denn man ist zudem auch nicht mehr sicher in öffentlichen Verkehrsmitteln. Selbst wenn da drinnen teilweise sicher ist, kann man nicht über die Straßen laufen ohne dass man Angst haben muss, dass man von hinten überfallen wird. Auch sehr alte Frauen, die ein Kettchen tragen, bekommen es einfach abgerissen, nachdem man sie umgeschubst hat.
      Dortmund ist das Letzte.
      Wir sind weiter dabei ein Haus zu suchen.

      lg Uli

  3. Hallo Uli,

    ich war schon erstaunt, dass Du mit der Straßenbahn unterwegs warst, denn ich dachte auch, Du arbeitest zu Hause. Aber es hätte ja trotzdem sein können. So etwas passiert aber nicht nur in Dortmund. Das gab es auch schon in Mannheim, Heidelberg und besonders in Leimen, wo fast 6.000 Ausländer geholt wurden, nur damit einer Oberbürgermeister werden konnte. 9.000 Deutsche und 6.000 Ausländer. Das war auch ein Grund, warum ich dort weg wollte. Diese Angst behielt ich noch sehr lange aber mittlerweile habe ich sie überwunden.

    Ich habe heute auch mal nach Häusern gesucht, hier in unserer Umgebung. Da sind Häuschen dabei, die man anderswo suchen kann. Preiswert und ausbaufähig für einen Appel und ein Ei. Viele aus westlichen Großstädten kommen hierher und keiner hat das bisher bereut.

    Hoffentlich findet Ihr bald Euer Traumhaus.

    Liebe Grüße, Kathy

    • Archi says:

      Hallo Kathy

      Wir hatten uns auch schon in Eurer Gegend umgesehen. Es ist sehr schön da.

      Da der Meeresspiegel ständig ansteigt, die gletscher sehr schnell abtauen, das Grundwasser sehr hoch und es in Zukunft mehr Stürme gibt, bin ich vorsichtig.

      Vielleicht wird das Wetter mal so manipuliert, dass man die Küstenregionen vollständig weg spült.
      Zugegeben ein wenig übertriebene Gedanken, habe ich habe ein komisches Gefühl, so eine Art Vorahnung.

      lg Uli